Verfasserin: Julia 

 

Dass ich ein Tierquäler bin, war mir schon immer bewusst. Ich kaufe zwar Bio, aber nicht immer, und ich bin zwar Vegetarier, aber lebe noch immer nicht vegan. Mein „erwachsenes“ Pferd steht nachts in einer Box, und – oh mein Gott! – ich füttere ihm auch immer noch ein Stück hartes Brot zum Abschied.

 

Dass ich aber ein richtig fieser, mieser Tierquäler bin, wusste ich nicht, bis man mich wohlwollend darüber aufgeklärt hatte.

 

Das ging damit los, dass eine überzeugte Gebisslos-Reiterin meinem Pferd ins Hannoveranische Reithalfter fasste, dran zerrte (!) und dann (wohl enttäuscht darüber, dass das Tier doch tatsächlich unter dem Nasenriemen atmen konnte!) mitleidig im Hinblick auf sein Gebiss zu ihm meinte: „Ach du Armer. Musst du immer noch mit SOWAS laufen.“

 

Ich bin ja vor Mitleid fast in Tränen ausgebrochen.

 

Vor allem, als ich ihr beim Reiten zusah: Auf einem schlecht bemuskelten Pferd daherjuckelnd, mit dem Sidepull so bremsend, dass das Pferd mit der Unterlippe seinen (gut ausgeprägten) Unterhals berühren konnte. Vom „geschmeidigen“ Aussitzen der (nicht gerade elfenhaften) Reiterin im baumlosen Sattel gar nicht zu reden……

 

Wir befinden uns in einem Zeitalter, in dem das Arbeiten eines Pferdes per se zum Tierschutzgesetzverstoß erhoben worden ist. Zu Recht. Teilweise. Denn nichtsdestotrotz: Immer mehr Leute longieren[1] oder clickern oder horsemanshippen oder zirkuslektionen ihre Pferde auch bis zur Erschöpfung, würden niemals eine Gerte anfassen (ein „Contact Stick“ ist dagegen in Ordnung) und wünschen allen die Pest an den Hals, die das gute Tier doch tatsächlich Dressur reiten wollen.

 

Das sind ganz oft Leute, die nicht begriffen haben, dass die Dressur für das Pferd da ist, nicht nur das Pferd für die Dressur.

 

Fast immer auch Leute, die ein gut bemuskeltes Pferd von einem schlecht bemuskelten nicht unterscheiden können und von Trageerschöpfung noch nie was gehört haben. Oder von einem Trapezmuskel. (Gibt es ihn oder ist er doch nur ein Mythos…?)

 

Und sehr oft Leute, die Scheuklappen tragen und für die es nur eine einzige Straße gibt, die nach Rom führt. Ihr Rom. Idealisiert und dogmatisiert, pferdefreundlich und vor allem „artgerecht“.

 

Wenn ich zurück zur Natur will, dann bitte konsequent – fahrt das Tier in die Steppe, macht es vom Strick ab und bestellt ihm nie wieder einen Tierarzt oder Hufschmied.

 

Versteht mich nicht falsch:

 

Schlechtes Reiten macht ein Pferd unter Garantie kaputter als schlechtes Putzen.

 

Beides sollte man vermeiden.

 

Leider sehr richtig ist es auch, dass Reiten sich immer an der Grenze zwischen Tierwohl und Tierschutzrelevanz bewegt. Und nein, wir haben kein Recht darauf, auf dem Rücken eines anderen Lebewesens stundenlang Tango zu tanzen. Das ist ein Geschenk und wie mit jedem bedeutenden Geschenk sollte man damit vorsichtig und liebevoll umgehen und vor allem eines nicht: Es als selbstverständlich betrachten.

 

Doch vielleicht sollten die Ultra-Ökos ihre Denkweise auch mal über-denken, und wir Normalos ebenfalls, und uns mal überlegen, wann eine Reitweise, egal ob mit oder ohne Sperriemen, Trense, Gerte oder Westernsattel dem Pferd gut tut – denn ist das nicht am Ende das erklärte Ziel?

 

Tier-Wohl?

Wohlbefinden des Pferdes?

Seine Gesundheit, psychisch wie physisch?

Wenn man ein wenig geübt ist, kann einem die Optik eines Pferdes unfassbar viel über sein Leben verraten.

 

Über seine Ernährung. Wie oft es zur Pediküre geht und ob das Nagelstudio seinen Job versteht. Ob der Sattel und das Zaumzeug passen. Und vor allem: Wie es geritten wird, und ob dies eher öfter oder weniger häufig geschieht.

Steht mir ein mageres, unbemuskeltes, struppiges Pferd gegenüber, mit matten Augen und teilnahmslosem Gesichtsausdruck, dann ist klar, dass hier einiges nicht passt.

Ebenso bei einem an sich gut im Futter stehenden Pferd, das jedoch Kuhlen links und rechts des Widerrists hat und eine deutlich sichtbare Wirbelsäule. Oder Scheuerstellen.

Habe ich ein gut dastehendes Pferd vor mir, das übellaunig und aggressiv ist, würde ich ebenfalls mal nachdenken, was hier nicht passen könnte.

 

Nun gehen wir aber mal rein hypothetisch davon aus, dass wir ein gut bemuskeltes Pferd vor uns haben, rund, kräftig, mit glänzendem Fell, wachen, klaren Augen, neugierig und aufmerksam, das sich geschmeidig wie ein Tiger bewegt und wendig wie eine Antilope ist. (Und ihr wärt überrascht, wie selten dies der Fall ist…) Also wirklich gut dastehend.

 

Was sagt uns dieses Idealbild eines Pferdes, das einem König angemessen wäre, über seinen Besitzer und dessen Reitweise?

 

Wenn das Pferd einem Westernreiter gehört:

"Westernreiten ist die einzig wahre Reitweise. Mit einem Dressursattel kann ein Pferd keine Muskulatur aufbauen."

 

 Wenn das Tier einem Dressurreiter gehört:

„Diese Reitweise ist seit Jahrhunderten kultiviert worden. Nur sie führt das Pferd zu vollendeter Reifung.“#

 

… habt ihr das Prinzip verstanden?

 

Nein, liebe Leute, es ist völlig egal, ob dieses Pferd nach A, B oder C geritten wird oder ob es eine Kandare oder ein Sidepull trägt.

Denn ganz offensichtlich macht sein Halter eines:

 

Etwas richtig.

 

Kommen wir noch mal zurück zur Reitweise:

Neben dem guten Dastehen ist auch das Reiten an sich wichtig. Was passiert in der Arbeit mit dem Pferd? Wird es getriezt, gequält und gedemütigt, ist die Reiterei harsch und gefühllos, weil man ohne Gebiss ja eh keinem Pferd wehtun kann (und der Bremsweg irgendwie länger ist, weswegen man mehr ziehen muss……)? Wirkt alles mechanisch?

Oder ist es harmonisch, balanciert, „rund“? Sieht man die Hilfengebung des Reiters kaum? Vielleicht sogar TROTZ (!) Gebiss und Gerte?

 

Nun: Wer sein Pferd sattel- und gebisslos so pferdegerecht ausbilden und/oder reiten kann, dass es dasteht wie oben beschrieben und die Reiterei ist wie eben definiert – Herzlichen Glückwunsch, ich freue mich von Herzen für ihn und sein Pferd. Wenn das Tier super dasteht, beide ein harmonisches Paar sind und der Vierbeiner Spaß am Leben hat, dann gibt es keinen Grund, etwas an seiner Reiterei zu ändern.

 

Wer sein Pferd mit Sattel und Gebiss so pferdegerecht ausbilden und/oder reiten kann, dass es dasteht wie oben beschrieben und die Reiterei ist wie eben definiert – Herzlichen Glückwunsch, ich freue mich von Herzen für ihn und sein Pferd. Wenn das Tier super dasteht, beide ein harmonisches Paar sind und der Vierbeiner Spaß am Leben hat, dann gibt es keinen Grund, etwas an seiner Reiterei zu ändern.

 

Hups… Bin ich da gerade etwa auf Copy & Paste gekommen…..?

 

Ich bin ehrlich: Ich kann ein Pferd ohne Gebiss nicht reell ausbilden.

 

Bis zu einem gewissen Punkt, ja.
 
Aber ab da, wo ich echte Losgelassenheit und Anlehnung brauche (kommt auf der Ausbildungsskala beides recht früh dran….), ab da kann ich das nicht mehr. Später auf dem ausgebildeten Pferd ab und an am Halsring abrufen: ja. Vom ersten Aufsitzen bis zur Piaffe am Halsring so ausbilden: nein.
Und ja, meine Gerte ist mein verlängerter Schenkel und hilft mir oftmals, das Hinterbein des Pferdes mehr zu aktivieren. Ich habe nämlich kurze Beine. Ich komme da nicht bis nach hinten. Zumal die ja auch vorne bleiben sollen…. Es ist ein Graus.
 
Immerhin habe ich aber begriffen, dass meine Reiterei ohne Hilfsmittel in gewissen Punkten defizitär ist und ich stehe dazu. Mir ist es nämlich entsetzlich wichtig, ein gut dastehendes Pferd wie oben zu besitzen und ich würde meine ganze Pferdepassion schwer in Frage stellen, wenn mein Pferd mies bemuskelt, teilnahmslos, unfreundlich oder glanzlos dastünde. Oder man mir beim Reiten zusähe und Angstschweiß und/oder Tobsuchtsanfälle bekäme. (Sehr fähige Reitlehrer ausgenommen!)
 
Warum ist das eigentlich so vielen Reitern komplett egal?
 
Und warum ignorieren so viele das und hängen sich an einem Nasenriemen auf?
 
Ich für meinen Teil reite bald auch mein junges Pferd mit Gebiss und mein Hund darf weiterhin nicht ohne Leine an der Schnellstraße entlang laufen.

         Unter Lehrern nennt man Leute wie mich „nicht beschulbar“.
        … und wisst ihr was?
 

Manchmal bin ich das gerne.

 


 
[1] ein Thema, das einen eigenen Artikel verdient hat