Verfasserin: Julia 

 

Nun wird sich diese Frage jeder Besitzer eines Jungpferdes früher oder später genau diese Frage stellen (hoffentlich!), doch die Antwort darauf fällt ganz unterschiedlich aus. Es gibt zwei Fraktionen von „Hardlinern“: Die Ersten sind der Meinung, dass ein Fohlen schon direkt nach der Geburt „imprintet“ gehört und sowieso schadet Bodenarbeit keinem Pferd. Die Zweiten stellen das gute Tier bis 3-Jährig auf eine große Wiese fernab der Zivilisation und pferchen es danach spontan in eine Gitterbox.
Die „Wahrheit“, sodenn es hier überhaupt eine gibt, liegt vermutlich irgendwo dazwischen.

 

Ein ungeschönter Erfahrungsbericht.

 

Mein erstes Pferd kaufte ich mit zarten 18 Jahren direkt ein halbes Jahr nach dem Erwerb der Volljährigkeit. Da Pferd 1 für knapp über 10 Jahre auch mein einziges Pferd bleiben sollte, konzentrierte sich alle Liebe auch ungeteilt auf ihn. Pferd 1 wuchs zwar durchaus auch auf der Fohlenkoppel auf, später dann in gemischten Herden, wurde aber mindestens 3x die Woche von mir bespaßt. Zwar immer nur kurz, aber der Herr kannte schon mit eineinhalb die Bodenarbeit nach Trainerin X, ging mit mir regelmäßig auch größere Runden alleine spazieren, trug Abschwitzdecke, Gamasche und Trense auf und machte Schrecktraining. Mit zwei longierte ich ihn an, er beherrschte viele Kommandos ja schon vom Spazieren gehen, und er bekam immer mal einen Sattel aufgelegt, „zur Gewöhnung“.
Angeritten wurde er mit dreieinhalb.

 

Pferd 2 kaufte ich mit weisen 28 Jahren, da lief Pferd 1 schon Pi+Pa unter dem Sattel. Pferd 2 ließ ich absichtlich 400 km von mir entfernt bei seinen Züchtern stehen, weil ich es bewusst anders machen wollte als bei Pferd 1 – man lernt ja durch eigenes Erproben immer noch am besten und Pferd 2 war für mich somit auch Experiment und Lebensaufgabe Nummer 2. Pferd 2 und ich hatten also die ersten 2 Jahre seines Lebens eine reine Ferienbeziehung, eine zeitlang manchmal auch wöchentlich. Mit 2 zog er übergangsweise für 3 Wochen zu mir (geschuldet einer Verkettung von Umständen) und danach in eine gemischte Herde – und so hatten wir eine Wochenendbeziehung. Pferd 2 putzte ich nur immer mal und brachte mal eine Plastiktüte mit, führte ihn mal am Strick auf der Koppel herum, bis er 2 war – mehr nicht. Mit 2 ½ dann begann ich, ihn mal mit in den Roundpen zu nehmen, damit er eine Idee von den Grundkommandos bekommt, und nahm ihn an der Seite eines sicheren Führpferds mit auf kleine Gassirunden. Nächstes Jahr, mit dreieinhalb, wird auch er unter den Sattel kommen.

Vorneweg:

Groß geworden sind sie beide.

 

( Hurra, das sind doch schon mal gute Nachrichten! )

 

Aber wer von beiden ist nun „geglückter“ – und wie würde ich es beim dritten Fohlen machen?

 

Resümee:

 

Vermutlich muss man die Thematik von zwei Seiten betrachten. Einmal: „Wobei habe ICH mehr gelernt?“. Und ein andermal: „Was war besser für das Pferd?“ Und da gehen die Antworten nun doch sehr auseinander.

Ganz klar mehr gelernt habe ich bei Pferd 1 – leider aber auch aus meinen Fehlern, die ich bei ihm gemacht habe. Viel Konfliktpotential wäre zwischen uns nie entstanden, wenn ich ihn in jungen Jahren mehr in Frieden gelassen hätte. Bei fast allen Pferden, die mit sehr viel Kontakt zum Menschen groß werden, erkenne ich eine gewisse „Respektlosigkeit“. Diese muss nicht „schlimm“ sein, aber sie ist immer da. Die Pferde gehen näher an den Menschen dran, suchen mehr Kontakt, sind dabei oft rüpelhafter und schwieriger in ihre Grenzen zu weisen als ein Pferd, das weniger Nähe in seinen jungen Jahren erfahren hat. Viel von dem, was ich heute teilweise an Pferd 1 als anstrengend empfinde, habe ich mir selber zuzuschreiben. Gerade diesen Punkt möchte ich hervorheben.

Pferd 2 profitiert gerade extrem von meinen Erfahrungen aus der Erziehung von Pferd 1, denn Pferd 1 habe ich – da grundsätzlich mehr Kontakt - auch während seiner „Rüpelphase“ mehr am Strick gehabt – und so gelernt, ein Pferd auch in schwierigen Situationen zu händeln und ihm Sicherheit zu vermitteln. Bei Pferd 2 hingegen habe ich das Gefühl, ihm fällt alles in den Schoß – und somit auch mir. Er lernt in Null Komma Nix, ist wissbegierig, neugierig und motiviert, ohne mir so auf die Pelle zu rücken wie Pferd 1. Das ist SEHR angenehm! Ich liebe Pferd 1 auch heute noch über alles, aber Pferd 2 ist gegen ihn wie ein Wellnessurlaub, so wenig geraten wir (gerade jetzt in seinem jungen Alter) aneinander und so wenig sprühen dort die Funken. Innerhalb von 3 Trainingseinheiten beherrschte Pferd 2 die Kommandos Schritt, Trab und Komm freilaufend im Roundpen, beim 4. Mal galoppierte ich ihn an und nun sitzt auch das.    

 

Entspannter kann Erziehung nicht ablaufen!

 

….. nun muss man natürlich beachten:


- Pferd 2 ist grundsätzlich ein anderer Typ als Pferd 1.


- Ich habe selber während der vergangenen 10 Jahre unendlich viel dazugelernt – eben DANK und MIT Pferd 1.

 

…. kann aber auch einwenden:


- Pferd 2 ist grundsätzlich eigentlich ein skeptischerer, sturerer Typ als Pferd 1 – und somit auch eigentlich schwerer zu erziehen.


- Ich habe selber während der vergangenen 10 Jahre unendlich viel dazugelernt, mich aber nicht ohne Grund dafür entschieden, es bei Pferd 2 anders zu machen.

 

„Wie würde ich mein nächstes Fohlen großziehen und erziehen?“

 

Das ist eigentlich die einzig richtige Frage, die man stellen sollte. Was war für dich persönlich der bessere Weg, womit hast du die bessere Erfahrung gemacht?

 

Für mich ganz klar: Mit dem Weg von Pferd 2. Ich würde ein junges Pferd wieder genau so großziehen wie Pferd 2. Für mich war es die optimale Balance zwischen Nähe und Distanz, Erziehung und Gewährenlassen. Pferd 2 hat keinerlei Defizite gegenüber Pferd 1.

 

Neulich konnte ich einen Herren mit seiner eineinhalbjährigen Stute bei der Bodenarbeit auf einem vollen Reitplatz beobachten. Das war bestimmt gut gemeint, aber nach heutigem Wissensstand hätte ich die Stute wieder auf die Koppel und den Herren nach Hause geschickt.

Weniger ist manchmal wirklich mehr.

Und wer jetzt noch zweifelt:

 

Pferd 1 kommt mir auf Zuruf mit wehender Mähne an einem guten Tag auf der Wiese entgegen galoppiert.

 

Pferd 2 ………………………………………… auch ;-)Z