Verfasserin: Julia
Bretzel ist drei Jahre alt geworden! Zeit, in unregelmäßigen (!) Abständen von ihm zu berichten.
Gleich vorneweg: Die Bretzel heißt natürlich nicht wirklich Bretzel, aber da sein richtiger Name nichts zur Sache tut (und ich auch noch ein klitzekleines bisschen Anonymität wahren möchte), werde ich hier jetzt und auch künftig nur seinen Spitznamen verwenden. Den hat dieser wundervolle dreijährige Wallach deswegen erhalten, weil er a) ein waschechter Leonharder und somit Oberbayer ist und b) auch so ein bisschen die Farbe hat wie eine Bretzel innendrin, nämlich goldfarben-irgendwas, also Buckskin.
Bretzel verbrachte seine Kindheit und Jugend auf den saftigen Weiden seines Muttergestüts am Chiemsee, wo ich ihn Ende 2015 kennenlernte. Geplant war ein Pferdekauf nicht, doch der Absetzer so attraktiv und spannend, dass ich nicht widerstehen konnte. Zumal mein Reitlehrer nun auch keine 20 mehr ist und ich vor seinem etwaigen Renteneintritt noch einmal ein Pferd von der Pike auf mit ihm ausbilden wollte.
Bis Bretzel zwei Jahre alt war, durfte er noch „zuhause“ bei seinen Halbgeschwistern bleiben – danach zog er in eine altersgemischte Offenstallherde, wo ich ihn etwa alle zwei bis drei Wochen besuchen kam.
Ich hatte mir vorgenommen, meine Fehler aus der Jugend meines ersten Pferdes nicht mehr zu wiederholen und außerdem die Bretzel zu meinem persönlichen Experiment Nummer 2 zu machen. Pferd 1 hatte ich – wie schon in dem Artikel „Junge Pferde – wie viel Arbeit?“ beschrieben – von Geburt an ziemlich bzw. zu menschennah aufgezogen und ihn sehr früh auf Spaziergänge und zur Bodenarbeit mitgeschleppt. Bei der Bretzel hielt ich mich mehr im Hintergrund: Ich besuchte ihn zwar regelmäßig, machte aber außer dem Fohlen-Abc, sprich etwas (auf dem Hof) führen, knuddeln, putzen und Hufe geben, nichts mit ihm. Und mit nichts meine ich: nichts.
Als er zweieinhalb war, genau genommen im November 2017, begann ich, ihn immer mal im Roundpen laufen zu lassen und ihm dort die Kommandos für die Grundgangarten beizubringen. Außerdem nahm ich ihn immer mal in Begleitung eines braven Führpferdes mit zum Spazierengehen.
Ende März 2018 schließlich zog er mit an den Stall zu meinem Erstpferd, da seine Ausbildung langsam beginnen sollte. Er ist nun also fünf Wochen bei uns.
Zunächst durfte Bretzel sich etwa zwei Wochen lang eingewöhnen. Er kam schließlich aus dem Offenstall, wo er seinen ganzen Tagesablauf selbst bestimmen konnte, in eine Haltung mit tagsüber Paddock-/Koppelgang in der Herde und nachts Box, war aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen worden und hatte mich nun plötzlich täglich an der Backe ;-) Man sollte nicht unterschätzen, was das Aufstallen für ein großer Lebenseinschnitt für ein junges Pferd ist! Alles ändert sich schlagartig und ich finde es wichtig, dass man Verständnis für die junge Kreatur hat, die sich erst mal in ihr neues Leben finden muss.
Ein wenig erleichtert wurde Bretzel die Umstellung dadurch, dass er mein erstes Pferd wiedererkannte (die beiden waren mal 3 Wochen zusammen gestanden) und ich selbst da war, die ich ja doch trotz aller „Distanz“ eine Konstante in seinem noch jungen Leben war.
Nach der Eingewöhnungsphase, während der ich ihn nur putzte, beschmuste und mit meinem ersten Pferd laufen ließ, begann ich, ihn anzuarbeiten.
Freilaufen lassen mit Kommandos kannte er ja bereits vom alten Stall, jetzt galt es, das auch an der Longe einzuführen. Anfangs nutzte ich dafür das Paddock, da dieses etwas kleiner ist und weniger Fläche zum Abhauen bietet (ich war da ein etwas gebranntes Kind vom Anlongieren von Pferd 1). Da Bretzel aber sehr brav seine Kreise zog, konnte ich schon beim zweiten Longieren auf den Reitplatz umziehen und auch hier verhielt er sich mustergültig. Zunächst ließ ich ihn an der Longe nur Schritt gehen und traben, um die Kommandos nochmals zu festigen und die Kreisbahn zu sichern. Das Ganze beim ersten Mal 5 Minuten lang, beim zweiten Mal 10 Minuten und inzwischen longiere ich etwa 15 Minuten alle 2-3 Tage.
Dazu ist einiges zu sagen, was für mich von Relevanz ist:
Die Aufmerksamkeitsspanne eines jungen Pferdes ist in etwa so lange wie die eines 4-5 jährigen Menschenkindes: Bei 15 Minuten ist Schluss. Wenn das Pferd ein wenig eingearbeitet und diszipliniert ist, reden wir von circa 20 Minuten Aufmerksamkeitsspanne. Mehr zu fordern, ist schlichtweg psychische Folter und widerspricht jeder guten Pädagogik! Sowohl beim zwei-, wie auch beim vierbeinigen Schüler! Nach 20 Minuten ist das Gehirn einfach „überfrachtet“, das Tier KANN sich dann schlichtweg nicht mehr konzentrieren. Daran halte ich mich strikt! Mit den Monaten und Jahren dehnt sich diese Zeitspanne dann etwas aus, aber ausreichend Pausen und Ruhephasen sind auch dann noch essentiell. Nichts finde ich schlimmer, als ein Pferd, egal, ob jung oder alt, über Stunden über den Reitplatz zu jagen.
Ich longiere aktuell noch mit Halfter, in ein paar Tagen oder Wochen werde ich auf den Kappzaum umsteigen. Ich bin kein Fan vom „am Gebiss“-Longieren; man kann an der Longe einfach nicht so weich einwirken wie vom Sattel aus, zumal ein Jungspund auch mal aus dem Takt kommt, sich erschrickt oder zur Seite zieht und ich dann völlig im noch jungfräulichen Maul hinge. Was ich hingegen sinnvoll finde, ist, das Gebiss „blind“ einzuschnallen und dann Halfter oder Kappzaum drüber zu ziehen und auch daran zu longieren, um das Pferd an das Gebiss als solches zu gewöhnen. Das habe ich persönlich am 2.5. erstmals getan (Zaumzeug drunter, Halfter drüber und ins Halfter auch die Longe eingehängt), nachdem ich vorher mehrere Tage das Aufzäumen in der Box geübt hatte. Wenn man ansonsten alles macht wie immer und so tut, als wäre gar nix anders, akzeptieren viele Pferde das völlig problemlos, so auch die Bretzel. Natürlich gab es aber noch ganz viel drauf zu kauen ;-)
Mein Pferd geht noch vollkommen unausgebunden. Er ist zwar im Schritt und Trab schon relativ balanciert und taktsicher, aber im Galopp nicht. Den muss er erst mal ein, zwei Runden halbwegs balanciert halten können, ehe ich ihn auch nur irgendwie in eine Form zwingen werde. Der Hals ist der Balancierstab des Pferdes, insbesondere des jungen Pferdes; „Haltung“ wird er dann unter dem Sattel lernen.
Ich longiere nicht, um ihn zu bewegen oder zu gymnastizieren. Bewegen tut er sich auf der Koppel und für Gymnastizierung ist es noch zu früh. Meine Ziele aktuell sind: Finden von Gleichgewicht und Takt, Einüben der Grundkommandos, Beschäftigung und Kopfarbeit und – ganz wichtig – das Erlernen von innerer Disziplin und Arbeitsmoral.
Dem letzten Punkt möchte ich noch etwas mehr Aufmerksamkeit widmen. Mein persönliches Ziel war und ist es immer, ein Pferd heranzuerziehen, das WILL.
Die Arbeit mit dem Menschen muss für das Pferd das Highlight des Tages sein, es muss sich darauf freuen, darauf hinfiebern und dann so viele gute Erlebnisse währenddessen haben, dass es am nächsten Tag wieder motiviert auf dem Reitplatz auftaucht.
Ich lehne mich möglicherweise etwas aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass viele Pferde nur deswegen arbeitsfaul oder platzsauer sind, weil sie in jungen Jahren nicht genügend motiviert wurden. Doch ich bin davon fest überzeugt.
Mein erstes Pferd war diesbezüglich ein voller Erfolg: Er LEBT dafür, geritten und gearbeitet zu werden. Egal, zu welcher Tages- und Nachtzeit ich ihn von der Weide hole, er hat immer Lust, mitzumachen und freut sich auf das Zusammensein. Von Hinrichs stammt der Spruch, dass ein Pferd wie ein Deutscher Schäferhund sein müsse, gehorsam und immer willens, dem Menschen zu gefallen und noch etwas mehr mit ihm zu machen. In diesem Fall gehe ich völlig konform mit ihm. Diesen Arbeitswillen kann man jedoch nur erhalten, wenn man das Tier nicht überfordert und dadurch sauer macht. Gerade mein Araberblut führendes Erstpferd, aber auch der Halbspanier Bretzel, neigen zu Hibbelei, wenn sie nicht mehr weiter wissen oder nicht verstehen. Da muss man dann wieder ein paar Schritte zurück machen und dann mit einem guten Ergebnis beenden, mit dem Effekt, dass das Pferd abspannt und auch das nächste Mal wieder Lust hat, etwas Neues mitzumachen. Fehlertoleranz seitens des Ausbilders ist im Umgang mit jungen Pferden das A und O.
Was sind ansonsten die momentanen Herausforderungen und Ziele beim Arbeiten der Bretzel?
Herausforderungen:
Bretzel neigt aktuell noch dazu, den Ort des Geschehens auf eigene Faust zu verlassen, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Ein typisches Beispiel dafür ist der hofeigene Bach, den man täglich überqueren muss, wenn man zur Koppel respektive zurück zum Stall will. Drei Mal habe ich mein Pferd dort schon „verloren“.
Bretzel ist bei vielen Dingen im normalen Umgang noch etwas empfindlich und neigt dazu, sich vor allem bei Sachen, die hinter/über ihm passieren, anzuspannen. Er wird nicht panisch oder blöd, aber er hat definitiv Angst.
Dadurch, dass der junge Mann in seinem bisherigen Leben wirklich kaum angefasst wurde, ist er noch extrem grün hinter den Ohren – mein erstes Pferd war in dem Alter schon deutlich „abgebrühter“.
Ansonsten ist die Bretzel einfach ein dreijähriges Pferd. Nicht mehr, nicht weniger, mit allen Vor- und Nachteilen. Er ist pubertär, er ist unsicher, aber er ist auch lernwillig und interessiert.
Ziele:
Bretzel muss gerade in erster Linie lernen, dass man auch mal etwas „muss“. Nicht alles läuft so, wie er das gerne hätte und er das trotzdem auch mal aushalten muss. Meine Aufgabe ist es also aktuell, seine Frustrationstoleranz schrittweise heraufzusetzen, ohne ihn panisch oder sauer zu machen.
Zweite große Aufgabe ist es, ihn „abzuhärten“ und ihm zu zeigen, dass ihm nichts geschieht. Das ist auch noch eine Frage des Vertrauens und Einlassens in mich. Zwar ist er schon jetzt sehr auf mich fixiert und genauso anhänglich wie mein erstes Pferd, aber in „Extremsituationen“ verlässt er sich noch zu wenig auf mich und mein Urteil.
Diese Ziele erreiche ich für meinen Teil nicht, indem ich ganz spezifische Übungen dazu mache und diese jeden Tag bis zum Erbrechen durchexerziere. Vielmehr versuche ich, die Bretzel so normal wie möglich anzufassen und zu arbeiten, jedoch immer im Hinterkopf die beiden oben genannten Ziele zu haben, die auch eindeutig über allem anderen stehen.
Den ein oder anderen Reiter mag es verwundern, dass ich es nicht als Ziel habe, mich am 24. August 2018 um 18:32 Uhr das erste Mal auf dieses Pferd zu setzen oder bis 29. November um 15:00 Uhr die ersten Galoppsprünge zu machen.
Nein, habe ich nicht! Und da bin ich auch Gott froh drum. Einfach deswegen, weil Bretzel meines Wissens nach keine Terminkalenderapp hat, in die wir beide uns eintragen und ein Date ausmachen können, sondern weil er ein junges Pferd ist und sich alle Schritte danach richten, wie er es packt und mitmacht.
Und nach nichts anderem.
Beste Grüße aus der pferdigen Vorschule!