Verfasserin: Katharina
Vor kurzem kam mir ein Bild vor Augen.
Ich stellte mir die Reiterwelt als Kommode vor.
Also als Schrank mit unterschiedlichen Schubladen und einer persönlichen Ablagefläche.
Lasst uns doch mal einen Blick hineinwerfen in diese Kommode:
Wir öffnen zu Beginn die oberste Schublade mit der Aufschrift "Olympia".
Der Bereich des Leistungssports, nehme ich an, denn es liegen Schleifen, Pokale und ein FEI - Regelwerk herum.
Und Geld, viel Geld.
Ich sehe Papiere mit Urteilen und Anträgen. Mein Blick streift über Wörter wie "Bloodrule", "Verkfæri dauđans" oder "Bella gunnabe
Gifted"...
Wortfetzen.
Aber ich erinnere mich dunkel an die dazugehörigen Geschichten und erschaudere. Anscheinend ist hier der gesamte Leistungssport versammelt, reitweisenübergreifend.
Es sind auch Pferde hier anwesend, aber ich spüre sehr wenig ihrer "Seele".
Nun, ich will diese laufende, geschäftige Maschinerie nicht weiter stören und ziehe mich zurück.
Allerdings gibt es da ja noch meine Ablage, die mit Leben erfüllt werden will... Ob ich hier fündig werde?
Eine Etage unterhalb finden wir die Aufschrift: "Ostwind"
Hier ist es ganz anders als oben.
Pferde laufen umher, die geliebt, gestreichelt und vermenschlicht werden. Das eine Pferd ist arg traumatisiert, das nächste besonders sensibel und ein weiteres ist
beste Freundin und Seelenverwandte.
Alle scheinen nur durch die absolute hingebungsvolle Liebe und durch sanftes Zureden wieder Vertrauen zu dem einen und einzigen Menschen aufbauen zu
können.
Was man in dieser Schublade vergebens sucht, sind Schranken und Grenzen.
Manche Pferde rempeln ihre Menschen an oder bestimmen Tempo und Richtung selbst.
Statt klaren Regeln gibt es unbegrenzte Freiheit für die Pferdeseele und erheblichen Raum für menschliche Träume, Wünsche und Sehnsüchte.
Nun...meine Ablage will gestaltet werden. Ich werde fündig, das eine oder andere passt zu mir.
Schublade Nummer drei trägt die Aufschrift "Aber ich will...!"
Schon als sie nur einen Spalt geöffnet ist, höre ich deutliche Stimmen:
"Dein Pferd hat aber noch keine Idee von Anlehnung."- "Aber ich will nächste Saison L gehen."
"Denkst du dein Pferd versteht Schenkelweichen schon?" - " Weiß nicht. Aber ich will, dass es das jetzt macht."
"Willst du nach der Krankheit nicht erstmal langsam wieder auftrainieren?"-"Aber ich will endlich wieder voll reiten."
"Denkst du der Sattel passt vielleicht nicht mehr?" - "Weiß ich nicht. Aber ich will nicht schon wieder jemanden holen."
"Solltest du nicht erstmal ein bisschen Unterricht nehmen, um dein Pferd besser zu verstehen?" - "Aber ich will doch nur ein bisschen Geländereiten."
Ich schließe diese Schublade wieder. Es war weit und breit kein Verständnis zu hören, für das Pferd als Individuum mit eigener Lernstruktur und körperlicher
Beschaffenheit. Die Bedürfnisse des Menschen allerdings wurden ziemlich deutlich.
Doch ein weiteres Element wandert auf meine Ablage.
Eine letzte Schublade haben wir noch vor uns: "Ganz oder gar nicht" steht darauf geschrieben.
Die geht aber wirklich schwer auf. Alleine der Griff ist schon viel massiver, als bei den anderen.
Ein erster Blick zeigt: alles sehr edel.
Im Mittelpunkt steht ein Pferd:
Glänzendes Fell.
Zufriedener Gesichtsausdruck.
Gepflegte Ausrüstung.
Um das Pferd herum stehen viele Menschen:
Diskussionen.
Ernste Gesichter.
Bücher in den Händen.
Ich laufe ein wenig herum, betrachte die Hengste in den Boxen.
Jemand eilt auf mich zu und fragt nach meiner Zugehörigkeit.
Ich verstehe nicht... Welcher Schule ich angehöre, welche Art Pferde ich reite?!
Einen Friesen und einen Isländer antworte ich - viel im Gelände und vornehmlich in Dehnungshaltung.
Oh? Was?
Ich werde zur Türe getragen und gebeten zu gehen.
Während ich die Schublade schließe, hängt ein Hauch von Dogmatismus in der Luft und, am Kronleuchter baumelnd, winkt mir der Purismus zu.
In meiner Hand halte ich ein weiteres Teil für meine Ablage.
Nachdem ich alle 4 Schubladen inspiziert habe, liegen nun die Einzelteile meiner eigenen Reiter - und Pferdewelt vor mir und ich beginne meine Ablagefläche anzuordnen.
In dem Bereich des Hochleistungssports habe ich nichts gefunden, womit ich meine persönliche Kommode schmücken möchte.
Aber:
Ich habe etwas hineingesteckt in diese Schublade, in der ich sehr wenig "Pferdeseele" vorfand.
Und zwar ein Buch, nachhaltig beeindruckend, mit einem völlig neuen Blick auf den Turniersport und dessen Entwicklungsgeschichte:
"Reitkunst am Scheideweg" von Erich Glahn aus dem Jahr 1956 wandert in die Untiefen der Schublade "Olympia".
Wohlwissend, dass ein Buch nicht das System ändern wird, aber vielleicht den Blickwinkel des ein oder anderen Besuchers, der in diese Schublade greift, um sie zu erkunden.
"Ostwind" hat mir doch einige Gedanken beschert, auf die ich in meiner Pferdewelt nicht verzichten möchte.
In meiner Realität kommt der Schwarze, ganz ohne Blumen in der Mähne, auf mich zugelaufen und schielt am Halfter nach jedem sprießenden Hälmchen Gras, wartend, dass
ich einen Moment unaufmerksam bin.
Aber Freundschaft verspüre ich trotzdem zwischen uns.
Und manchmal, wenn ich sein glänzendes Fell streichle, ergebe ich mich eine Sekunde in den Mädchentraum, dass er sich nur von mir reiten und anfassen lassen
würde.
Aber sind wir doch mal ehrlich?
Wie unangenehm wäre das im Alltag?
Im nächsten Moment bin ich ziemlich froh, dass ihn jeder Mensch im Zweifelsfall am Halfter auf den Anhänger führen kann.
Aber dennoch... Dürfen wir in Bezug auf unsere Pferde Träume, Wünsche und Sehnsüchte haben?
Ja natürlich.
Denn sie treiben uns an zu lernen, motivieren uns, neue Dinge zu wagen.
Und, zugegeben, der Stall ist auch eine willkommene Rückzugsmöglichkeit von Alltagsstress und Ärger- eine Oase der Erholung.
Aber wir dürfen, bei aller Romantik, die Bedürfnisse unserer Pferde nicht aus den Augen verlieren!
Und klare Regeln und deren konsequente Einhaltung geben dem Pferd nunmal die Sicherheit, die es auch aus seiner Herde kennt.
Das Pferd im Mittelpunkt... A propos.
Das erinnert mich an meinen Einblick in "Ganz oder gar nicht".
Dort wurde ich Zeuge, wie harmonisch und beeindruckend ein Pferd aussehen kann, wenn Reiten zur Kunstform erhoben wird. Die Gesunderhaltung als oberste Priorität,
die Biomechanik stets im Blick, sind alle Muskeln trainiert und die Bewegungen geschmeidig.
Ein ehrenwertes Ziel, finde ich.
Aber komplett leer geräumt habe ich diese Schublade nicht:
Sollte das Pferd trotz gewissenhafter gymnastischer Durcharbeitung nicht auch noch "Pferd" sein dürfen?
Kann ich als Freizeitreiter alle Anforderungen erfüllen?
Und was, wenn ich mir mehr Abwechslung mit meinem Pferd wünsche?
Ich reite gerne in der Halle.
"Aber ich will..." genauso ins Gelände, neue Gebiete erkunden, Abenteuer erleben, mit anderen Reitern Spaß haben. Meine Bedürfnisse in Zusammenhang mit den Pferden wollen auch noch gestillt werden.
Ein kleines bisschen menschlicher Egoismus braucht demzufolge auch noch Platz auf der Ablage meiner Kommode.
So. Alles ist fertig.
Ich trete einen Schritt zurück und betrachte meine eigene kleine Reiterwelt.
Ich sehe, es ist Platz für meine Träume und auch für Leichtigkeit im Zusammensein. Jedes meiner Pferde darf seine Persönlichkeit ausleben, solange es sich in den klar gesteckten Grenzen bewegt.
Die reiterliche Ausbildung erfolgt nach bestem Wissen und Gewissen unter Berücksichtigung der psychischen und physischen Leistungsfähigkeit meines Pferdes und auch
meiner.
Allerdings lasse ich auch gerne die Reitbahn hinter mir und wage mich mit meinem Pferd hinaus in die Welt.
DAS ist meine Kommode: