Über Pferd- Mensch- Beziehungen, Erwachsenwerden, und das Reifen...äh..Reiten

Ich habe mein 1. Pferd nun schon bald 13 Jahre. Für ein Menschenleben nicht unbedingt viel, aber man muss der Ehrlichkeit halber sagen, dass er nun möglicherweise schon Halbzeit hat und ich immerhin fast mein halbes Leben mit ihm verbracht habe. Zeit, ein bisschen darüber zu schreiben, was sich in diesen 13 Jahren alles geändert hat, was unsere Beziehung angeht.

 

 

 

Als ich Herrn Pferd kaufte, war ich süße 18 – kaum volljährig geworden war die erste Tat der nun jungen Erwachsenen, ein Fohlen zu erwerben. Er war bei uns am Stall geboren worden, hatte zwar die falsche Farbe und die falschen Eltern, aber wie soll ich sagen – er stakste auf mich zu, grade mal 4 Tage alt, bzw. von mir weg, dann nieste ich – und er bekam einen der ersten großen Schrecken seines bis dato noch jungen Lebens. Ich war schockverliebt.

 

 

 

Daran änderte sich die nächsten Jahre erst mal nichts.

 

 

 

Wenn ich mein Pferd sah, bekam ich Herzchen in den Augen, ich befasste mich (viel zu) viel mit ihm, gab mein absolut Bestes und zirkulierte in Gedanken ständig um sein Wohl und darum, wie toll er ist. Ein Leben ohne dieses Pferd? Nicht mehr vorstellbar. Wenn das Pferd morgen stirbt, weiß ich nicht, was ich mache – das dachte ich mir ganz oft. Er war mein Ein und Alles.

 

 

 

Mit etwas über drei Jahren dann der Schock: Pferd aufgrund eines tierärztlichen Versehens kurz vor Exitus. Frauchen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Ich war kaum in der Lage, den Doktor zu rufen, sah ich doch schon mein Pferd tot und begraben bzw. zu Hundefutter verarbeitet. Das Pferd starb nicht, aber etwas in mir drin schon, denn mir wurde klar, dass die Liebe, die ich für dieses Tier empfand, zerstörerisch war. Mich vor allem, aber auch ihn, denn einem anderen solch eine Last aufzubürden, dass man selbst nur glücklich und existenzfähig sein kann, wenn der andere da ist, das ist unmöglich und unverschämt. Lieben heißt loslassen können, wurde mir schmerzlich bewusst, und ich begann, mein Pferd rationaler zu sehen, vielleicht auch distanzierter. Immer noch liebevoll, aber nicht mehr so „Nur durch dich kann ich Lebensglück empfinden“-mäßig.

 

 

 

Viele wunderschöne gemeinsame Jahre folgten. Lehrreich, aufregend, und spannend. Das Pferd machte Dinge möglich, von denen ich nicht einmal im Traum geträumt hatte, und eröffnete mir nicht nur reiterlich alle Welten, sondern auch in mir drin. Denn auch reiten können heißt: loslassen können. Er lehrte es mich, und dafür bin ich ihm von Herzen dankbar. Wenn ich ehrlich bin müsste ich ihm jeden früh und Abend die Hufe küssen, denn er war und ist mit Sicherheit der bedeutendste Therapeut und Lehrer in meinem Leben, was mich selbst angeht.

 

 

 

Das Pferd und ich wurden älter.

 

 

 

Heute, nach 13 gemeinsamen Jahren, kennen wir uns gegenseitig in- und auswendig. Ich mag mein Pferd noch immer, aber ich muss zugeben, es gibt immer wieder Phasen, in denen finde ich unseren gemeinsamen Alltag…… öde.

 

 

 

Die richtig großen neuen Errungenschaften bleiben aus, es gibt kaum noch Überraschungen, weil man sich so gut kennt, und das tägliche Leben miteinander besteht aus jeder Menge Routine. Ich kann mich so gut wie immer auf ihn verlassen, und egal, wie sehr mich das einerseits freut und dankbar macht, genauso sehr langweilt es mich dann und wann.

 

 

 

Versteht mich nicht falsch: Ich liebe mein Pferd noch immer.

 

 

 

Aber es ist eine andere Liebe geworden.

 

 

 

So müssen sich Ehepaare fühlen, die schon lange miteinander verheiratet sind. Der jugendliche Elan ist raus und auch so ein bisschen die Luft, man hat sich gegenseitig schon in nahezu allen Situationen des Lebens gesehen, in denen man sich sehen kann, man kennt das Gesicht des anderen in- und auswendig und weiß, wie er seinen Kaffee mag.

 

 

 

Das ist herrlich, weil es Sicherheit gibt.

 

 

 

Es ist furchtbar, weil es gewöhnlich wird.

 

 

 

Es ist so ein Zwischending zwischen ehrlicher, tiefer Liebe, in der man keine Ansprüche mehr an den anderen hat, und Freundschaft, in der keine „Leidenschaft“ vorhanden ist.  

 

 

 

Ich frage mich, ob mein Pferd das auch so empfindet.

 

 

 

Er wiehert mir zu, wenn ich den Stall betrete, ich freue mich, ihn zu sehen, und streichle ihm übers Gesicht.

 

 

 

Reinhard Mantler hat mal gesagt, dass es Beziehungen gibt, die erfüllt sind. Keiner will mehr was vom anderen, man hat sich nichts mehr zu beweisen. Ich glaube, so eine Beziehung habe ich mit meinem Pferd. Mantler meinte auch, das müsse gar nichts Schlechtes sein. Man müsse sich dessen nur bewusst sein – und dann könnte man eine ganz entspannte, schöne Zeit miteinander haben.

 

 

 

Der Vorteil dieser Art von Beziehung ist denn auch klar: Er, Herr Pferd, hat mir schon so viel geschenkt, und wir haben so viel gemeinsam erreicht, dass ich nichts mehr von ihm erwarte. Es gibt keine überzogenen Vorstellungen mehr, und er kann mich nicht enttäuschen. „Müssen“ muss er schon lange nichts mehr, wir machen, worauf wir Lust haben und ich muss mir mit ihm nichts mehr beweisen.

 

 

 

Mein Pferd ist mein Traumpferd und er hat mir mehr gegeben, als ich ihm jemals zurückgeben kann. Ich bin ihm dankbar und froh, dass ich ihn habe. Ein Verkauf kommt niemals in Frage. Er wurde bei „mir“ geboren, und er wird bei mir sterben, und ich werde immer dafür sorgen, dass er es gut hat, dieses Versprechen habe ich ihm am Tag des Kaufes gegeben und das halte ich.

 

 

 

Aber grade bin ich auch ganz froh, dass Pferd 2 im Frühling zur Vorbereitung des Einreitens bei mir einzieht und ich etwas frischen Wind in den Stall bekomme. Ich freue mich jetzt schon darauf, mich nach jeder Reiteinheit mit dem Zwerg wieder auf meinen Großen zu setzen, für den jede Hilfe und jede Lektion so traumwandlerisch selbstverständlich ist. Ich glaube, dann werde ich ihn noch einmal ganz neu zu schätzen lernen.

 

 

 

Der gängigste Ratschlag, den man bekommt, wenn man über Alltag in einer Beziehung – welcher Art auch immer – klagt, ist: Probiert doch mal was Neues aus.

 

Das tun wir immer wieder. Herr Pferd, eigentlich designiertes Dressur- und Ausreitpferd, war schon bei Working Equitation-Kursen und auf Orientierungsritten, trug mich auf Wanderritten durch die Prärie und lehrte mich den Umgang mit der Garrocha (letztere auch brennend). Er kann Langzügel und war in den Pilaren. Neuerdings gehen wir jeden Mittwoch mit in die Springstunde (okay, Gymnastikspringen. Kleine Hindernisse.).

 

So richtig für mich zieht das auch nicht.

 

Das Problem dabei?

 

Herr Pferd ist ein Workaholic und Streber. Man nehme eine unlösbare Aufgabe und stelle sie ihm – wenn einer eine Lösung findet, dann er. Neues funktioniert entsprechend dem Motto: „Guck mal, wie interess…“ Pferd: „Kann ich.“

 

 

 

….. okay.  -    Next!

 

 

 

Andererseits macht mich das ja schon wieder stolz wie Bolle, dass mein Pferd so unfassbar toll ist, und glücklich, dieses wundervolle Wesen an meiner Seite zu haben.

 

 

 

Auch so gibt es zwischendurch immer wieder mal Phasen, in denen ich ihm um den Hals falle, weil er mich so überwältigt und meine Gefühle für ihn. In denen das Feuer wieder brennt, anders als früher, vielleicht sogar stärker, ehrlicher, wärmer. Diese Momente sind seltener geworden, aber dadurch umso wertvoller und intensiver.

 

 

 

Ich glaube, wir sind beide erwachsen geworden.

 

 

 

Wenn ich ihm ins Gesicht schaue, dann ist da ein Ausdruck in seinen Augen, der sich verändert hat. Er ist nach wie vor neugierig und lustig, er ist ein echter Schelm, aber er ruht auch mehr in sich, ist weiser. Vielleicht hat er mich diese Art von Wertschätzung und Liebe gelehrt. Ich sollte der alten Ebene unserer Beziehung nicht hinterhertrauern, sondern mir bewusst machen, dass diese neue Art von Beziehung so viel ehrlicher und fairer ist, als es die davor je war.

 

 

 

Und echter.